Handelskonzentration und Nachfragemacht
Markenartikel werden in Deutschland traditionell nicht direkt, sondern über den Handel verkauft, der als eigene, leistungsfähige Wirtschaftsstufe Partner der Markenartikelindustrie ist.
Historisch ist bis in die siebziger Jahre zwischen Herstellern und Händlern die Industrie der stärkere Partner gewesen. Zahlreichen selbständigen Einzelhändlern standen Hersteller mit bundesweiter Distribution gegenüber. Sinnfälligsten Ausdruck fand das Kräfteverhältnis der Nachkriegszeit in der bis 1973 zulässigen Preisbindung für Markenwaren.
Spätestens seit Einsetzen der starken Fusions- und Konzentrationswelle in den 80er Jahren hat sich dieses Rollen- und Kräfteverhältnis in wesentlichen Branchen und insbesondere im Lebensmitteleinzelhandel nachhaltig verändert. In dem Maße, in dem durch den Strukturwandel im deutschen Einzelhandel „Tante Emma Läden“ zu immer größeren und damit auch nachfragemächtigeren Einzelhandelsketten verschmolzen, veränderte sich auch das Verhältnis dieser Handelsunternehmen zu ihren Lieferanten.
Heute ist der Lebensmitteleinzelhandel von starker Konzentration geprägt. Nach aktuellen Ermittlungen des Bundeskartellamtes vereinigen die vier größten Lebensmittelhändler Deutschlands heute ca. 90% des im LEH erzielten Umsatzes auf sich.
Diese vier Marktführer repräsentieren mit zweistelligen Marktanteilen den Zugang zu einem jeweils erheblichen Anteil der Verbraucher und sind deshalb für ihre Lieferanten nicht verzichtbar. Gleichzeitig repräsentieren die an diese Händler liefernden Hersteller mit ihren einzelnen Markenartikeln – bei Sortimenten von bis zu 30 Tsd. Artikeln im Vollsortiment – auch bei starken Marken einen nur noch vergleichsweise geringen Beitrag für den Gesamtumsatz.
Das ehemals bestehende „Gleichgewicht der Kräfte“ in den Verhandlungen zwischen Markenartikelherstellern und ihren Handelspartnern ist damit zugunsten eines strategischen Übergewichts des Handels gekippt. Die Versuchung, in einem harten wettbewerblichen Umfeld die damit einhergehende Macht zu missbrauchen, um leistungswidrige, sachlich nicht gerechtfertigte Vorteile und Lieferkonditionen zu erzwingen, ist groß. Handelsunternehmen versuchen immer wieder, von ihren Lieferanten Leistungen zu erhalten, die nur deshalb durchsetzbar sind, weil eine Weigerung für den Lieferanten schwerwiegende, im Einzelfall existenzbedrohende Folgen hätte. Langfristig schädigen solche „Anzapfversuche“ aber nicht nur die betroffenen Lieferanten und die weniger nachfragemächtigen, kleineren Handelsunternehmen, sondern auch den Leistungswettbewerb insgesamt.
Der Markenverband setzt sich deshalb im Rahmen seiner wettbewerbspolitischen Arbeit im Dialog mit Handel, Kartellbehörden und Politik seit vielen Jahren für eine wirksame Begrenzung und Beschränkung von Nachfragemacht ein. Im Mittelpunkt der kartellrechtlichen Diskussion steht dabei das Instrument der sogenannten Missbrauchsaufsicht (geregelt in §§ 19 Abs. 1,2 Nr. 5, 20 Abs. 2 GWB), die nachfragemächtigen Unternehmen den Missbrauch ihrer Macht zur Forderung von sachlich nicht gerechtfertigten Vorteilen untersagt. Eine Reihe von Verschärfungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen geht auf Initiativen des Markenverbandes zurück.
Darüber hinaus geht der Markenverband auch gegen Wettbewerbsverstöße durch nachfragemächtige Handelsunternehmen vor.
Der Konzentrationsgrad ist im Lebensmittelhandel besonders hoch. Doch auch in anderen Branchen sind Tendenzen für einen bedenklichen, mittelständische Handelsstrukturen gefährdenden Strukturwandel erkennbar. Der Markenverband sieht diese Tendenzen mit großer Sorge.