Drei Irrtümer zur Debatte um territoriale Lieferbeschränkungen

Mythos 1:

„Verbraucherinnen und Verbraucher könnten 14 Milliarden Euro sparen, wenn Markenprodukte überall gleich teuer wären.“

 

Diese Zahl taucht immer wieder auf – zuletzt im Mai 2025 in einer Kampagne des österreichischen Handelsverbands. Sie stammt aus einer Studie, die ein hohes Einsparpotenzial zu versprechen scheint, wenn Hersteller ihre Produkte nicht mehr länderspezifisch vertreiben würden.

Warum diese Zahl mit Vorsicht zu genießen ist:

  • Theoretisches Rechenmodell: Weder die Europäische Kommission noch das Forschungszentrum der EU (JRC) haben dieses Einsparpotenzial bestätigen können. Sie stammt aus einer Berechnung, die nicht unabhängig geprüft wurde.
  • Unklare Rechenweise: Die Studie zählt Einsparungen auf mehreren Handelsstufen zusammen und wertet sie dann so, als kämen sie direkt beim Endverbraucher an. Das führt in die Irre, weil sie von falschen Annahmen ausgeht.
  • Erfahrung aus echten Fällen: Selbst bei nachgewiesenen Wettbewerbsverstößen, wie im Fall Mondelez, lagen die tatsächlichen Preiseffekte nur im niedrigen einstelligen Prozentbereich.

Fazit: Die 14-Milliarden-Zahl ist ein Rechenbeispiel, aber keine belastbare Grundlage für politische Entscheidungen. Die tatsächliche Wirkung auf Verbraucherpreise wäre deutlich kleiner, so es sie überhaupt gibt.

 

Mythos 2:

„Einkaufsallianzen machen alles effizienter – und senken dadurch die Preise.“

 

Immer mehr Handelsunternehmen schließen sich in länderübergreifenden Einkaufsallianzen zusammen, etwa Edeka mit Everest oder Epic. Das Ziel: gemeinsam mit mehr Marktmacht bessere Konditionen bei Herstellern erzielen.

Was dabei oft nicht erwähnt wird:

  • Keine echten Effizienzgewinne: Diese Allianzen organisieren weder gemeinsame Logistik noch Lager oder IT – sie verhandeln lediglich gemeinsam über Preise. Einsparungen bei Prozessen oder Strukturen entstehen dabei nicht.
  • Preisvorteile kommen nicht an: Studien zeigen, dass niedrigere Einkaufspreise nicht automatisch zu niedrigeren Preisen im Regal führen. Gerade in konzentrierten Märkten behalten Händler die Ersparnis oft selbst. Ihre Gewinne steigen, die Verbraucherpreise sinken aber nicht.
  • Schwächere Anbieter geraten unter Druck: Kleine oder mittelständische Hersteller berichten, dass sie durch solche Allianzen kaum noch zu fairen Bedingungen verkaufen können. Das betrifft oft gerade lokale oder spezialisierte Anbieter.
  • In den Einkaufsallianzen schließen sich die großen nationalen Händler zusammen. Können sie durch diese Macht erzwungenermaßen besser einkaufen, schwächt das auch die kleinen Händler.

Fazit: Einkaufsallianzen können für große Handelsunternehmen Vorteile bringen, für Verbraucherinnen und Verbraucher oder kleinere Marktteilnehmer aber eher Nachteile.

 

Mythos 3:

„Wenn Händler überall gleich einkaufen dürfen, wird alles billiger.“

 

Die Idee klingt zunächst verlockend: Einheitliche Einkaufsbedingungen für alle sollen die Preise senken. Doch so einfach ist es nicht.
 
Was dabei oft übersehen wird:

  • Vorteile bleiben häufig beim Handel: Analysen zeigen, dass günstigere Einkaufskonditionen besonders in Märkten mit wenigen marktbeherrschenden Handelsunternehmen oft nicht weitergegeben werden. So wie in Deutschland: Hier teilen sich vier Handelskonzerne über 90 Prozent des Marktes.
  • Keine Garantie für günstigere Preise: Auch der europäische Verbraucherverband BEUC hat festgestellt: Es fehlen belastbare Daten, dass einheitliche Einkaufsregeln tatsächlich zu niedrigeren Preisen führen.
  • Weniger Vielfalt droht: Große Handelsketten profitieren am meisten, kleinere Händler hingegen könnten wichtige Produkte nicht mehr zu fairen Konditionen bekommen. Das würde die Auswahl im Regal verringern.

Fazit: Einheit klingt gut – bedeutet aber oft weniger Vielfalt und weniger Wettbewerb. Am Ende könnten Verbraucherinnen und Verbraucher sogar Nachteile spüren.

 

Häufige Fragen & Antworten zur Territorialen Lieferdifferenzierung

Was sind „regionale Lieferdifferenzierungen“ oder „territoriale Lieferbeschränkungen“?

Sie beschreiben, dass Markenprodukte nicht überall zu denselben Preisen oder Konditionen erhältlich sind. Anbieter gestalten ihr Sortiment und ihre Liefer- und Leistungskonditionen marktgerecht, zum Beispiel angepasst an Sprache, Gesetze oder Konsumverhalten– aus Sicht des Markenverbands ist es eine zulässige und sinnvolle Differenzierung. Es bildet die vielfältigen unterschiedlichen Bedürfnisse der Menschen in Europa ab.

Sind regionale Lieferdifferenzierungen erlaubt?

Ja. Das europäische Wettbewerbsrecht erlaubt länderspezifische Vertriebsstrategien, solange keine marktbeherrschende Stellung missbraucht wird. Unterschiedliche Preise, Verpackungen oder Produkte gehören zu einem fairen Wettbewerb.

Was ist eine „unlautere Beschränkung“?

Nur marktbeherrschende Unternehmen unterliegen strengeren Regeln. Unzulässig wäre zum Beispiel:

  • Händler ohne sachlichen Grund nicht zu beliefern
  • unangemessen hohe Preise zu verlangen
  • oder Wettbewerber durch Rabatte gezielt zu verdrängen

Generell gilt: Angebotsvielfalt und Preisunterschiede sind erlaubt.

Warum sind Markenprodukte im Ausland manchmal günstiger?

Weil Preise durch viele Faktoren entstehen, auch durch:

  • regionale Beziehungen zwischen Handel und Hersteller
  • Steuern, Löhne und Wechselkurse
  • Verbraucherverhalten und Marktstruktur vor Ort

Nicht allein die Produktionskosten bestimmen den Preis, sondern das Gesamtpaket.

Warum gibt es manche Produkte im Ausland gar nicht oder anders verpackt?

Markenhersteller richten ihr Sortiment an lokalen Bedürfnissen aus: Sprache, Geschmack, Portionsgrößen, Design oder rechtliche Vorgaben wie Pfand oder Kennzeichnung. Das ist keine Willkür, sondern Teil einer differenzierten Marktstrategie. Verbraucherinnen und Verbraucher profitieren davon, weil Markenprodukte gezielt auf lokale Geschmäcker, Anwendungssituationen oder gesetzliche Vorgaben zugeschnitten werden.

Würde eine EU-weite Regelung zu den Territorial Supply Constraints Preise senken?

Vermutlich nicht. Studien zeigen: Günstigere Einkaufskonditionen des Handels werden selten an Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben – besonders in Ländern mit wenigen, großen Handelsunternehmen. Stattdessen könnten kleinere Händler verdrängt und Sortimente vereinheitlicht werden, ohne Preisvorteil für Konsument*innen.

Was bedeutet das für Verbraucherinnen und Verbraucher?

Gleichheit im Regal klingt fair – kann aber Vielfalt kosten.
Wenn überall dieselben Produkte zu denselben Bedingungen verkauft werden müssten, könnten kleine Händler und Hersteller nicht mehr mithalten. Das Ergebnis:

  • Weniger lokale Händler und Hersteller
  • Weniger Auswahl im Laden
  • Weniger regionale Produkte
  • Uniformität statt Vielfalt – und keine Garantie für niedrigere Preise